Design als strategische Beratung
- 01.09.2025
- Quelle: Redaktion
Warum Unternehmensberatungen Designbüros kaufen – und was wir daraus lernen können!
Es ist schon eine Weile her – 2015 war es – da wurde das renommierte Designbüro Frog Design integraler Bestandteil von Capgemini Invent (ein nach eigener Aussage „Innovations-, Design- und Transformations-Powerhouse“). Diese Transaktion war Startpunkt für eine ganze Reihe von Aufkäufen von Designagenturen durch Unternehmensberatungen. Dieser Vorgang verdeutlicht einen fundamentalen Wandel in der Wahrnehmung unserer Design-Disziplin durch die Wirtschaft. Große Unternehmensberatungen erkennen auch heute noch Design zunehmend als strategische Ressource und investieren gezielt in Designkompetenz. Die zentrale Frage lautet: Handelt es sich um ein fortwährendes Warnsignal für unsere Branche oder um eine Chance zur strategischen Neupositionierung von uns Designer:innen?
Die Akquisitionsmotive verstehen
Unternehmensberatungen verfügen traditionell über etablierte Beratungsfelder: Strategieberatung, Organisationsentwicklung, Prozessoptimierung, Human Resources sind einige davon. Mit der Akquisition von Designbüros erweitern sie ihr Leistungsspektrum um nutzerzentrierte Produktentwicklung, ganzheitliche Projektabwicklung (von der Analyse bis zur Umsetzung), sowie agile Problemlösungsmethoden, die wir ganz selbstverständlich ständig in unsere Arbeit einbringen.
Vermutlich wurde Frog Design nicht aufgrund ästhetischer Kompetenz akquiriert, sondern wegen der strategischen Denkweise. Unternehmensberatungen haben erkannt: Lösungen werden konsequent aus der Nutzerperspektive heraus entwickelt. Diese methodische Herangehensweise ist in der heutigen Wirtschaft enorm geschäftsrelevant geworden. Während wir oft primär über ästhetische Gestaltung kommunizieren – der VDID arbeitet mit seinen Projektgruppen intensiv daran, die wirtschaftlich relevanten Aspekte herauszuarbeiten und zu veröffentlichen – haben Beratungsunternehmen bereits unsere strategische Kompetenz als Wertschöpfungsfaktor identifiziert und kommuniziert (siehe „The business value of design“ von McKinsey). Und nutzen den Faktor nach der Übernahme eines Designbüros.
Warum Berater:innen erfolgreich sind
Die systematischen Erfolgsfaktoren von Unternehmensberatungen sind deutlich erkennbar: direkter Zugang zur Unternehmensführung, präzise und selbstbewusste Kommunikation, strukturierte und markengeschützte Methoden wie der "McKinsey Way" oder die "BCG Experience Curve", prägnante Präsentationstechnik sowie der Fokus auf intellektuelle Leistung statt physischer Umsetzung. Als Nebeneffekt treibt das die Tagessätze in die Höhe.
Die verborgenen Stärken von Designer:innen
Nicht selten haben Designer:innen begrenzten Zugang zu den Entscheidungsgremien der Auftraggebenden. So ist zumindest mein persönlicher Eindruck. Oft erbringe ich Beratungsleistungen implizit innerhalb von Gestaltungsprojekten „by the way“ und bereite Unterlagen vor, die der Entscheidungsfindung auf höherer Ebene dienen. Ich sitze dort dann aber nicht selbst mit am Tisch. In der Folge wird die strategisch denkende Dienstleistung nicht wirklich als eigenständige Kompetenz wahrgenommen. Auch User Journey Mapping und Designmethodik (dem Ursprung des Design Thinking): Kommuniziere ich diese als proprietäre Methoden? Nein, ich bezeichne die Beratungstätigkeit immer noch verharmlosend als "Projektbegleitung".
Die strukturellen Problemfelder
Die Ursachen der unterschiedlichen Marktposition sind systemisch: Ich beobachte eine verzögerte bzw. zu späte Integration in Entwicklungsprozesse. Die Sichtbarkeit in strategischen Entscheidungsphasen bleibt in Folge gering. Dazu gesellt sich eine defizitäre Kommunikation der Methodenkompetenz und ein, zwar differenzierter, jedoch nicht durchsetzungsstarker Kommunikationsstil. Und wie viele von uns erheben noch eine Honorierung, die auf Arbeitsaufwand statt Lösungswert basiert? Die Möglichkeit, sich Nutzungsrechte honorieren zu lassen, nutzen auch nur Wenige. Das zeigte die VDID Branchenumfrage 2024.
Die zentrale These lautet: Designer:innen verfügen über fundierte Beratungskompetenz, kommunizieren diese jedoch nicht ausreichend verständlich - entwickeln durchaus strategische Inhalte wie Unternehmensberater:innen, präsentieren diese jedoch nicht auf der entsprechenden Entscheider-Ebene.
Ein strategischer Wendepunkt?
Ich sehe Risikofaktoren, wie die Vernachlässigung praktischer Gestaltungsarbeit zugunsten reiner Konzeptentwicklung oder die Aufgabe der nutzerzentrierten, experimentellen Arbeitsweise zugunsten standardisierter Beratungsmethoden.
Das Chancenpotential liegt jedoch in früherer Integration in Projektphasen, angemessener Honorierung und strategischer Positionierung im Unternehmen. Entscheidend ist die Bewahrung der designspezifischen Arbeitsweise bei gleichzeitiger Anpassung der Außendarstellung. Gerade wenn wir Gelegenheit bekommen, explizit beratend tätig zu werden, ergibt sich die Chance, sogar noch tiefer in die konzeptionelle Entwicklung einzusteigen und im Ergebnis noch bessere Umsetzungen zu erreichen.
Umsetzbare Maßnahmen
Sofort implementierbare Optimierungen umfassen die Entwicklung einer ausgeprägten Beratungsidentität, systematische Kundenaufklärung über den strategischen Wert von Design, transparente Kommunikation unserer Methoden und Prozesse sowie die entsprechende Ausrichtung der Präsentationstechnik. Der VDID unterstützt exakt an diesen Punkten bereits aktiv mit Impulsvorträgen und Erfahrungsaustausch.
Mittelfristige Positionierungsstrategien beinhalten den Übergang zu wertorientierter Preisgestaltung – die Fragestellung "Welchen Wert generiert die Lösung?" statt "Welcher Zeitaufwand entsteht?". Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Kalkulation von Angeboten dadurch nicht einfacher wird. Meine Erfahrung ist aber auch, dass Auftraggebende den Wert dessen, was sie erhalten, sehen - und nicht mehr nach Stundensätzen fragen. Die Sichtbarmachung intellektueller Beiträge im Entwicklungsprozess ist wohl aufwändiger zu realisieren. Genauso, der Versuch direkte Kommunikationswege zur Unternehmensführung zu etablieren. Design als methodischen Ansatz zu vermitteln, nicht nur als Ergebnis, ist ebenfalls ein längerfristiges Projekt. Ich habe Auftraggebende, bei denen das Verständnis dafür mit jedem Projekt reift.
Der VDID als Wegbereiter
Die Entwicklung einheitlicher Branchenstandards – standardisierte Terminologie für designspezifische Methoden, gemeinsame Standards der Beratungsdokumentation und kollektive Stärkung der Marktposition durch einheitliches Auftreten – erfordert eine branchenweite Diskussion über unsere zukünftige strategische Ausrichtung. Mit der Reihe „smart design shift“ - mit sechs Vorträgen im August 2025 - diskutierten wir einige dieser Themen.
Fazit: Design ist Beratung
Die Frage lautet nicht, ob wir zu Unternehmensberater:innen werden sollen. Sondern wir sind bereits strategische Berater:innen. Wir müssen unsere professionelle Identität nicht aufgeben, können jedoch wesentliche Elemente der Präsentations- und Positionierungsstrategie von Beratungsunternehmen adaptieren. Design ist Beratung – wir müssen es nur entsprechend positionieren.
Michael Grewer ist Diplom-Designer
- führt seit 2010 das Büro GREWER INDUSTRIEDESIGN in Augsburg.
- und ist Mitglied der VDID Projektgruppe "WirtschaftsMacht IndustrieDesign".
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